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Interview mit Eisenstadts Bürgermeister Thomas Steiner

„Wir produzieren Strom nicht für die Börse, sondern für die Bürgerinnen und Bürger“

Eisenstadts Bürgermeister Thomas Steiner im Interview über die Raiffeisen-Nachhaltigkeitsinitiative, die Energiegenossenschaften und welche Vorteile für die Bürger*innen und die Stadt dabei entstehen.

Was hat Eisenstadt bewogen, als Partnergemeinde von Anfang an bei der Energiegenossenschaft dabei zu sein und die Initiative zu unterstützen?

Bürgermeister Thomas Steiner: „Wir haben das Thema Nachhaltigkeit in der Stadt seit mehr als zehn Jahren mit ganz unterschiedlichen Aktivitäten sehr stark vorangetrieben. Da traf es sich gut, dass die Raiffeisen-Nachhaltigkeitsinitiative ins Leben gerufen wurde. Und wir konnten erfreulicherweise von Anfang an dabei sein. Die Teilnahme an der Initiative ist auch ein wichtiges Signal an die Bevölkerung. Es geht ja vor allem darum, die Menschen mitzunehmen, die Menschen einzubinden und vor allem eine gewisse Unabhängigkeit von anderen Energieformen zu schaffen.“

Gab es schon vor der Gründung der Raiffeisen-Energiegenossenschaft die Idee, gemeinsam erzeugte Energie in der Stadt zu teilen?

„Als die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden, gab es die Überlegung, in Eisenstadt eine eigene Energiegemeinschaft zu gründen, aber nur für die Stadt und nicht für die Bürgerinnen und Bürger, weil das zu komplex gewesen wäre. Einen professionellen Partner wie Raiffeisen an der Seite zu haben, der das ganze Thema der Abrechnung, der Schnittstellen mit den anderen Teilnehmer*innen abwickelt, das war der Punkt, wo wir gesagt haben, da wollen wir dabei sein, um allen Eisenstädterinnen und Eisenstädtern die Möglichkeit zu bieten, von der Energiegenossenschaft zu profitieren. Einerseits als Stromkonsument, aber vor allem für jene, die eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben und natürlich einen sehr großen Nutzen von der Energiegenossenschaft haben.

Wie werden die Bürgerinnen und Bürger über die Initiative informiert und worauf liegt der Schwerpunkt?

„Für uns war und ist es wichtig, die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren und die Bürgerinnen und Bürger darüber zu informieren und aufzuklären, was eine Energiegenossenschaft ist, wie man davon profitieren kann und was dahintersteckt. Die Idee ist einfach: Energie selbst erzeugen, in der Gemeinschaft verkaufen oder selbst verbrauchen. Jeder profitiert davon und sorgt durch seine Beteiligung an der Energiegenossenschaft für stabile Preise. Das ist ein Thema, das in den letzten zwei Jahren aufgrund der enormen Energiepreise sehr wichtig geworden ist. Es ist uns ein großes Anliegen, die Menschen zum Mitmachen zu motivieren, denn wir sehen in der Idee der gemeinschaftlich erzeugten Energie ein Zukunftsmodell für unsere Stadt.“

Wie sieht das konkret in Eisenstadt aus?

„Wir sind als Stadt voll dabei. Das heißt, wir beziehen den Strom von der Energiegenossenschaft und speisen auch unseren eigenen Strom ein. Wir haben im letzten Jahr eine große Initiative gestartet und unsere Photovoltaikanlagen auf städtischen Gebäuden versiebenfacht und eine ordentliche Menge Strom in die Energiegenossenschaft eingespeist. Derzeit produzieren wir zehn Prozent unseres Strombedarfs selbst. Ziel ist es, den Anteil der selbst erzeugten Energie kontinuierlich zu erhöhen, um unabhängiger von den Schwankungen des internationalen Strommarktes zu werden.“

Im Juni 2022 wurden die Raiffeisen-Energiegenossenschaften gegründet, im Jänner 2023 wurde der erste Strom gehandelt. Ihre Bilanz?

„Die Bilanz ist sehr positiv. Wir haben zum Start der Energiegenossenschaften Informationsveranstaltungen durchgeführt, bei denen viele Eisenstädterinnen und Eisenstädter Interesse gezeigt haben und auch viele der Energiegenossenschaft beigetreten sind. In einem Satz zusammengefasst: Wir produzieren Strom nicht für die Börse, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist der Kernpunkt, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen, dass wir selbst etwas tun können. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Thema, sondern auch ein emotionales Thema, weil man selbst umweltfreundlichen Strom beziehen oder produzieren kann. Energiegenossenschaften haben in den nächsten Jahren ein sehr großes Potenzial, sie werden einen richtigen Boom erleben.

Eisenstadt hat 2023 viele Projekte umgesetzt, wie z.B. das Cooling Center, ein klimatisierter Raum für Hitzegeplagte, der mit Strom aus der Photovoltaikanlage am Rathausdach und aus der Energiegenossenschaft versorgt wurde. Was ist für dieses Jahr geplant?

„Der nächste Schritt wird sein, die Erzeugungsformen zu erweitern, um tageszeitunabhängig Strom erzeugen zu können. Deshalb denken wir über zusätzliche Erzeugungsformen nach, denn derzeit wird nur Strom aus Photovoltaikanlagen in die Energiegenossenschaft eingespeist. Konkret wollen wir eine Anlage bauen, die aus biogenen Abfällen Biogas erzeugt und zur Diversifizierung beiträgt. Das zweite Thema, an dem wir arbeiten, ist die Nutzung der Abwärme aus dem Kanalsystem zur Erzeugung von umweltfreundlicher Energie. Das sind zwei ganz konkrete Projekte, die wir noch in diesem Jahr umsetzen werden.“

Was sind die Vorteile für die Stadt, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger, Teil der Energiegenossenschaft zu sein?

„Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, um den negativen Folgen des Klimawandels zu begegnen, die Weichen für eine nachhaltige und klimafreundliche Energieerzeugung zu stellen und alles zu tun, um regional und nachhaltig zu agieren. Das muss das Ziel sein. Und das ist das große Argument für die Energiegenossenschaft. Auch wirtschaftlich profitiert die Stadt und jeder, jede Einzelne. Ich finde, der Genossenschaftsgedanke ist etwas ganz Besonderes. Da geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern da geht es darum, den wirtschaftlichen Gewinn und die Gewinnspanne an die Mitglieder weiterzugeben und gemeinsam etwas zu erreichen. Und das ist der große Unterschied zu einem großen Konzern, der seine Aktionäre bedienen muss. Unsere Aktionäre sind die Bürgerinnen und Bürger und denen sind wir verpflichtet. Ich bin von diesem Projekt überzeugt und auch als Privatperson Teil der Energiegenossenschaft. Und ich bin auch davon überzeugt, dass die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den Gemeinden, in den Städten, in den Kommunen bewältigt werden können. Man kann noch so schöne Pläne auf europäischer Ebene machen, wenn die Kommunen nicht gemeinsam handeln, wird es nicht gelingen. Viele meinen, sie könnten nichts gegen den Klimawandel tun. Das stimmt aber nicht und das wollen wir aus den Köpfen bekommen. Denn jeder kann etwas tun und die Energiegenossenschaft ist ein erster wichtiger Schritt“.

Gibt es Gründe, der Energiegenossenschaft nicht beizutreten?

„Nein. Es gibt Einzelfälle, die aufgrund alter Einspeiseverträge bessergestellt sind. Aber wie gesagt, das sind Einzelfälle. Aber auch diese Menschen sprechen wir an, denn irgendwann laufen die Verträge aus und dann sind sie in der Energiegenossenschaft besser aufgehoben.“


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